Sägespäne treiben in der roten Soße, und der Inhalt des riesigen Stahltanks sieht auf den ersten Blick so aus, als wäre etwas schief gelaufen. Aber wenn der Winzer mit seinem Cabernet Sauvignon fertig ist, dann schmeckt er nicht nur raffiniert nach Cassis, Paprika und Brombeere, dann sind da auch noch milde Töne von Vanilleschoten, Kokos und Pflaume, wie man sie sonst nur durch Lagerung in Eichenfässern erreicht. Von einer 200 Jahre alten französischen Eiche stammen auch die feinen Sägespäne oder "Shavings", wie es in der Wein-Fachsprache heißt, die man in aller Welt leicht übers Internet bestellen kann. Wein-Produzenten etwa in Chile umgehen durch Beigabe dieses Zauberpulvers die ein bis zwei Jahre dauernde, kostspielige Holzfass-Lagerung und fügen dadurch ihren Weinen dennoch binnen ein bis zwei Wochen die begehrten Holznoten zu. Die Weine können dann billiger verkauft werden, die ausgelaugten Späne werden als Dünger weiter verwertet.
Auch bei uns ist dieses Verfahren zwar genehmigungspflichtig, aber erlaubt. Rotweine, die solcherart mit so genannten "Shavings" oder Holzchips verbessert werden, dürfen dann allerdings nicht als "Barrique-Wein" bezeichnet werden, obwohl die Geschmacksunterschiede fast nicht feststellbar sind.
Dr. Reinhard Eder von der Bundeslehranstalt für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg kann dieser relativ neuen, "unromantischen" Methode aber auch Positives abgewinnen: "Sie ist vor allem umweltschonender: Bei traditioneller Fasslagerung geht eine große alte Eiche für rund 500 Liter Wein drauf, mit den Spänen derselben Eiche kann man aber durch die größere Oberfläche der Holzpartikel 10.000 bis 50.000 Liter Wein behandeln. Außerdem ist der Transport platzsparender. Ein im Holzfass gereifter Wein ist allerdings doch runder, weil er über viele Monate im Holz ,atmen' kann."

 
 | Picture by Bundeslehranstalt für Weinbau Klosterneuburg |
Geradezu brutal wird mittlerweile in den großen bekannten Weinfabriken Kaliforniens, Australiens und Südafrikas vorgegangen: "Schleuderkegel-Kolonne" heißt das Edelstahl-Ungetüm im Wert von ein bis zwei Millionen Euro, mit dem der Wein wie in der Raffinerie das Rohöl in seine Bestandteile zerdampft und zerschleudert wird: Der Aroma-Dunst mit seinen bananenartigen Estern, den fruchtigen Terpenen und den nach Brotrinde duftenden Pyrazinen wird abgetrennt. Und in einem zweiten Durchgang wird noch der Alkohol herausgelöst. Übrig bleibt ein schaler, lauwarmer Rest, der dann, fein dosiert, wieder mit den herausgetrennten Substanzen vermengt wird, bis das Endprodukt eine samtweiche Bukett-Bombe ist, die mit unter 14 Prozent gerade so viel Alkohol hat, dass sie in den Vereinigten Staaten nicht in die nächsthöhere Steuerklasse fällt und gar nicht mehr brandig oder bitter schmeckt. "Raffinierter Designer-Wein" im wahrsten Sinne, hergestellt durch ein Verfahren, das angeblich von den Uran-Isotopen-Schleudern abgeschaut wurde, die man zum Bau von Wasserstoffbomben benötigt...
Obwohl diese Methode in Europa (noch) verboten ist – nur ein Testgerät steht in der deutschen Versuchsanstalt in Geisenheim – ist auch hierzulande die Romantik vom Weinhauer, dessen Tropfen von der Rebe bis ins Glas ohne Tricks und Kniffe entsteht, Illusion: "Umkehr-Osmose", "Vakuumverdampfung", "Kryokonzentration" und "Crossflow-Filtration" sind jedem modernen Winzer höchst vertraute Begriffe.
Schon die Ur-Winzer vor Tausenden Jahren wussten, dass man trübe Rotweine mit Eiweiß klären kann. Dazu verwendete man Eiklar, Milch oder auch ein Pulver aus Fisch-Schwimmblasen. Beides reagiert mit den Gerbstoffen im Wein und setzt sich dann am Boden des Fasses ab. Heute verwendet man meist Magermilchpulver oder Gelatine.
In Österreichs Wein-Forschungsabteilung der Bundeslehranstalt in Klosterneuburg leistet man in diesem Bereich gerade Pionierarbeit: Das tierische Eiweiß soll durch Produkte aus Sonnenblume und Klee ersetzt werden. Ausgesprochen fit sind die Forscher dort auch im Kampf gegen Schummler. Dr. Eder: "Stellen sie sich vor, ein steirischer Winzer kauft im Nordburgenland billig guten Rotwein ein und verkauft ihn unter seinem Etikett als eher raren steirischen zum vierfachen Preis. Solche Betrügereien waren früher schwer nachzuweisen. Jetzt sind wir dank der Austrian Research Centers in Seibersdorf sogar in der Lage, durch Untersuchung der im Wein enthaltenen Wasserstoff- und Kohlenstoffatome einen mittelburgenländischen Zweigelt von einem nordburgenländischen zu unterscheiden. Die haben einen typischen Fingerabdruck."
In Sachen Wein-Fingerabdruck ist auch die Genetik-Abteilung von Eders Kollege Dr. Ferdinand Regner weltspitze: "Bis vor kurzem musste man sich noch Traube, Blätter und Kerne einer Rebe genau ansehen, um zu bestimmen, was für eine Sorte vorliegt. Mittels DNS-Analyse sind wir jetzt aber nicht nur in der Lage, die weltweit 20.000 Rebsorten an einer einzigen Zellprobe zu unterscheiden, wir können auch erstmals ihren Stammbaum zurückverfolgen, und da gab es eine Überraschung: Österreichs typische Weinsorten wie Veltliner, Traminer und Blaufränkischer sind alle aus drei großen Reben-Familien entstanden. Eine davon ist der so genannte Heunisch. Von ihm stammt zum Beispiel auch der Chardonnay ab. Die Heunisch-Rebe ist aber in Wirklichkeit gar nicht einheimisch, sondern sehr exotisch. Sie wurde von den Hunnen auf ihren Raubzügen aus den Steppen Asiens zu uns gebracht."
Kennt man einmal das genaue Erbgut einer Rebe, dann kann man damit aber natürlich auch experimentieren. Dr. Regner: "Reben haben 19 Chromosomen, die wir hier im Labor in Langenzersdorf auf ihre Eigenschaften untersuchen. Vom Chromosom 9 wissen wir zum Beispiel jetzt, dass seine Gene für das Muskat-Aroma zuständig sind." Informationen, die bei der Züchtung geschmacklich verbesserter oder widerstandsfähiger Rebsorten nützlich sind. In den USA, Israel und Australien experimentieren Genetiker in den Labors bereits damit.
Es ist also wohl nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Reben mit künstlich eingebautem Anti-Schimmelpilz- und Schokolade-Aroma-Gen irgendwo auf der Welt in den Weingärten wachsen. Und wenn der daraus gewonnene Wein nicht schmecken sollte, dann bleibt ja immer noch die Schleuderkegelkolonne...
|