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Gravitation: Gefangen in der Schwerkraft-Falle

Die Erd-Schwerkraft einfach ausschalten und dahinschweben: Physik-Sensation oder reine Spinnerei? Ein Wiener Forscher ist jetzt dem "Heiligen Gral der Wissenschaft" auf den Fersen.



Schwerelosigkeit auf der Erde kann nur durch solche Zero-Gravity-Parabellflüge für ein paar Sekunden erzeugt werden
Picture by NASA

Die Augen des Physikers funkeln, wenn er von seinem Steckenpferd erzählt. "Es ist ein Heiliger Gral der Wissenschaft! Das würde eine zweite industrielle Revolution einleiten, wenn man die Gravitation manipulieren könnte!", schwärmt Dr. Martin Tajmar, Leiter der Abteilung für Weltraum-Antriebssysteme bei den "Austrian Research Centers": "Man könnte neue Metall-Legierungen, Kunststoffe und Medikamente entwickeln. Das Gewicht der Zutaten würde beim Mischen keine Rolle mehr spielen. Die Computer-Industrie könnte riesige Silizium-Einkristalle züchten, denen die Schwerkraft der Erde Wachstumsgrenzen setzt. Man könnte auch Fliehkraft-Dämpfer bauen, die beim Autofahren in schnellen Kurven oder bei Unfällen wirksam werden. Es gäbe unzählige nützliche Anwendungen."

Die Schwerkraft überlisten? Wofür der Forscher sich so begeistert, scheint uns übertrieben, so sehr sind wir daran gewöhnt. Von Geburt an sind wir in der Schwerkraft-Falle der Erde gefangen, lernen mühselig auf zwei Beinen die Gravitation auszutricksen, die uns am liebsten am Boden festkleben würde. Wir entwickeln Flugangst, weil wir Sorge haben, schneller von der Schwerkraft angezogen zu werden, als uns lieb ist. Und wir bewundern Rekorde, bei denen sich Sportler mit einer Stange ein paar Meter in die Luft heben, um dann wie an einem Gummiband unbarmherzig wieder hinuntergezerrt zu werden.

Dr. Martin Tajmar von den Austrian Research Centers testet mit einer Assistentin Stickstoff gekühlte Supraleiter
Picture by T. Micke

Umgekehrt, wenn etwas schwebt, suchen wir nach dünnen Fäden, die der Schwerkraft trotzen. Und weil wir nicht an Zauber glauben, kann es ansonsten nur ein starkes Magnetfeld sein, oder ein großer Ventilator, der der Gravitation entgegenwirkt.

Aber was wäre, wenn Magnet oder Ventilator nicht nötig wären? Wenn so eine 100 Tonnen schwere Rakete einfach federleicht schweben würde, weil ein Anti-Schwerkraft-Schild sie vor der Erdanziehung schützt? Alles nur Science Fiction wie sie der britische Autor H. G. Wells beschreibt?

Keineswegs! Albert Einsteins heuer 100 Jahre alte Relativitätstheorie beschreibt solche Gravitationswellen, die das können. Und sie entstehen sogar gemeinsam mit elektrischen und magnetischen Wellen in jeder Transformator-Station. Dr. Tajmar: "Leider sind diese Wellen so schwach, dass sie nicht messbar, nur errechenbar sind, und man bräuchte die Massedichte eines Neutronensterns, der fast mit Lichtgeschwindigkeit rotiert, um mit diesen sogenannten ,Gravitomagnetischen Feldern' zu experimentieren."

So wie Könige im Mittelalter Alchemisten beschäftigten, um künstlich Gold herzustellen, so läuft es heute auch auf diesem Gebiet: Die "Könige" heißen NASA, Boeing, British Aerospace oder nur "die Chinesen". Die "Alchemisten" sind die Forscher von heute – darunter manchmal auch Scharlatane. Und statt Gold sind es Gravitationswellen, die es auf wundersame Weise herzustellen gilt. Ebenfalls so "verrückt" wie damals: Allein die Hoffnung, dass es gegen alle bekannten Regeln vielleicht funktioniert, motiviert die Forscher.

Der in Fachkreisen weltberühmteste dieser "Alchemisten" ist Dr. Evgeny Podkletnov, ein russischer Physiker, dem 1992 die Sensation gelungen sein soll (siehe Graphik). Dr. Tajmar: "Ich war noch Student, als er es angeblich im Experiment schaffte, die Schwerkraft durch einen rotierenden Supraleiter-Ring zu manipulieren." Bis heute gilt der Versuch als KGB-Ente der Russen, um die USA zu ärgern. Denn er konnte nie glaubhaft für die Fachwelt wiederholt werden. Und Podkletnov bleibt bis jetzt Beweise schuldig.

Skizze: So soll das Antigravitationsfeld laut Eugene Podkletnov funktionieren
Picture by Evgeny Podkletnov

Dr. Podkletnov, der später für die NASA arbeitete und heute in Moskau ein Testlabor leitet, im Interview: "Ja, ich habe diesen Versuch wirklich mit Erfolg durchgeführt. Aber die Fachwelt reagierte darauf wie die Inquisition auf einen Ketzer. Geben Sie mir 100 Millionen Euro, zehn Forscher und zehn Jahre Zeit. Dann baue ich Ihnen eine Rakete, die mit Anti-Gravitation als Antrieb schwerelos in den Weltraum abhebt. Warum es keine Beweisfotos meiner Versuche gibt? In jedem Autokonzern ist Fotografieren verboten. So auch in diesen Hochsicherheits-Forschungslabors..."

Der umstrittene Schwerkraft-Forscher Dr. Eugene Podkletnov
Picture by Eugene Podkletnov

Obwohl Dr. Podkletnov die Phantasie beflügelt: Die Physik-Gemeinschaft glaubt ihm nicht. Allen voran Dr. Martin Tajmar, der auf diesem Gebiet einer der führenden Forscher weltweit ist und der die Experimente des Russen nachbaute immer mit negativem Ergebnis: "Wenn ich Podkletnov heiße und eine Schwerkraft-Manipulation nachweisen kann, dann ruf ich doch CNN an und lasse das live mitfilmen, statt so ein dünnes Rätselraten draus zu machen."

Im niederösterreichischen Forschungszentrum Seibersdorf ist Dr. Tajmar mit seinem Team aber dennoch selbst guter Hoffnung: "Die Spur auf der Podkletnov war, ist nicht falsch. Wir haben eine Theorie entwickelt, die wir jetzt in einem Experiment zu beweisen versuchen."

Sollten "moderne Alchemisten" wirklich eines Tages künstliche Schwerkraft-Felder schaffen, kommt wohl die nächste Hürde: Gold lässt sich nämlich heutzutage mit modernster Technik künstlich herstellen. Die Kosten sind nur leider so hoch, dass es sich nicht lohnt...


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© Eine Reportage von T. Micke (13-03-05) – Kontakt