Wenn Benni Raich dieser Tage zum zweiten Mal für den Sieg des Skiweltcups bejubelt wird, hat fast zeitgleich noch ein anderer Namensfetter aus dem Pitztal allen Grund zu feiern: Hermann Raich. Im Gegensatz zum Skifahrer Raich stand Hermann Raich nie auf dem Siegespodest oder im Rampenlicht oder musste vor laufenden Kameras Analysen seiner Leistungen liefern.
Hermann Raichs Glücksmomente und – wenn man so will – "Siege" seit seiner Priesterweihe im April vor genau 45 Jahren sind stiller Natur, und seine etwa 70.000 "Fans" sind nicht nur in Sympathie und Achtung, sondern in großem persönlichen Vertrauen und tiefster Zuneigung mit ihm verbunden. Hermann Raich ist Bischof. Warum die meisten Leser vermutlich noch nie etwas von ihm gehört haben? Er ist heuer seit genau 25 Jahren Weihbischof einer Diözese mit 16 Pfarren in Enga, einer Bergprovinz auf Papua Neuguinea.
Als er der Zivilisation 1964 den Rücken kehrte, um vom Bauernhof der Eltern in Jerzens in ein Urwald-Dorf auf der anderen Seite des Planeten zu ziehen und den Menschen dort – anfangs buchstäblich mit Händen und Füßen – die christlichen Werte näher zu bringen, hatte die Welt gerade während der Olympischen Winterspiele nach Innsbruck geblickt. Bürgerrechtler Martin Luther King bekam den Friedensnobelpreis und Armin Assinger wurde geboren.
Während die Beatles in England gerade "I want to hold your hand" zum Nummer-1-Hit machten, kämpfte sich Hermann Raich mit einem Dolmetsch und einheimischen Helfern in seinen soliden Tiroler Bergschuhen durch Mosquitosümpfe voller Blutegel: "Ich habe damals fast einen Monat gebraucht, um alle Dörfer meiner Pfarre zu besuchen", erklärt der Bischof bei unserem in Wabag: "Es war eine sehr spannende, romantische Zeit für mich. Ich habe in einer Hütte mit Grasdach gewohnt und später einen Jungen angelernt, der mir geholfen hat und dann sogar Bratkartoffeln und Knödel kochen konnte. Nur alle fünf Jahre kam ich für drei Monate nach Hause nach Tirol. Der Stamm bei dem ich in den ersten Jahren lebte, hatte eine Religion bei der die Ahnen verehrt werden und Hausgeister bei Laune gehalten werden müssen. Aber man glaubte auch an eine hohe, geistliche Gottheit, der auf den Bergen Speiseopfer gebracht wurden. Von da ist es ein langer Weg zum christlichen Glauben, den man sehr behutsam, diplomatisch und kompromissbereit gehen muss. Wir übersetzten auch die Heilige Schrift in die örtliche Sprache Enga. Enga wurde aber ausschließlich gesprochen und nicht geschrieben, was große Probleme beim Buchstabieren und nachher beim Vorlesen brachte." Heute hält der Bischof seine Messen in der einfachen Kathedrale von Wabag in einer vom Englischen abgeleiteten Mischsprache namens Pidgin-English, die von den meisten Bewohnern von Papua Neuguinea neben einer der mehr als 850 Muttersprachen gesprochen wird.
Als Bischof Raich 1964 mit einem Buschflugzeug in den Bergen von Papua Neuguinea landete, war dies noch völlig unerforschtes Land. Erst nach und nach erkannte man bei Erkundungsflügen, wieviele Einheimische nicht nur in den leicht zugänglichen Küstenregionen, sondern auch in den völlig unzugänglichen Bergwäldern lebten. Hermann Raich leistete in seiner Region echte Pionierarbeit nicht nur für die Kirche und seine Steyler Missionare. Es galt Schulen aufzubauen und die Gesundheitssituation der Menschen zu verbessern. Außerdem brach ungefähr jede Woche eine Stammesfehde aus, die oftmals Tote forderte.
Bischof Raich: "Die Leute von Enga waren und sind explosiv wie Benzinfässer: sehr emotional – im Guten und im Schlechten. Und weder Polizei noch Militär mischen sich in diese hochaggressiven Kleinkriege ein. Wir haben Kurse, die bei der Konfiktlösung helfen sollen. Und wir haben speziell trainerte Mitarbeiter, die solche Fehden im Ansatz erkennen und gar nicht erst aufkommen lassen sollen. Aber die Menschen tun sich hier aus Tradition extrem schwer mit dem Vergeben und Verzeihen." Manchmal resultiert daraus ein jahrelanger Krieg, in dessen Folge die Bevölkerung nicht einmal mehr zu essen hat.
Und dann ist auch ein neutraler Mann Gottes nicht mehr tabu. Raich: "Erst vor einem Jahr bin ich hier ganz in der Nähe an der Hauptstraße nach Mount Hagan überfallen und bis auf die Socken ausgezogen worden. Das kann einem aber immer wieder passieren und gehört hier zum Leben dazu."
Jetzt bereitet der leider schwer kranke, am 2. Mai 73 Jahre alte Bischof eine Hofübergabe vor. Hermann Raich: "Was nicht heißt, dass ich aufhören werde. Wir haben hier in der Nähe mit Porgera eine Goldgräber-Stadt, die neben Glücksrittern auch Prostituierte anlockt. Die sozialen Verhältnisse sind schlimm, und AIDS breitet sich immer mehr aus. Es gibt für mich noch viel zu tun. – Was ich in den 43 Jahren hier vor allem gelernt habe, ist, mich über die Saat zu freuen, die trotz der vielen Rückschläge aufgeht und gedeiht."
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