Fünfter Stock: Kartoffeln, Karotten Kohlrabi. Zehnter Stock: Mais und Hängetomaten. 24. Stock: Weizen und Soja. 42. Stock: Orangen, Mandarinen und Zucchini. Geht es nach den revolutionären Plänen von Prof. Dickson Despommier, Umweltforscher an der Columbia Universität in New York, dann steht so eine Hochhaus-Farm irgendwann in den nächsten Jahren als Herzeigeprojekt im Zentrum seines Heimatbezirks Manhattan: Das Fastfood-Restaurant an der Ecke lässt die Kartoffeln für seine Pommes und die Alibi-Tomaten für die Burger nicht mehr per Lkw aus dem fernen Bundesstaat Iowa herankarren, sondern erntet umweltschonend nebenan. Von dort kommen für das Gemüsegeschäft gegenüber auch der frische Salat und die Orangen ungespritzt. Weil es in diesem luftdichten Glas(-hoch-)haus einfach eine ganze Menge Krankheiten nicht mehr geben wird.
Schöne neue Welt: Geerntet wird unabhängig von Regen, Hagel und Schnee je nach Pflanzenart bis zu vier mal pro Jahr. Das ist auch bei einem normalen Gewächshaus so. Nur dass diese Hochhaus-Farm ähnlich luftdicht klimatisiert ist wie ein modernes Bürogebäude für Tausende Menschen. Auch dort lassen sich die Fenster nicht öffnen. Die Außenluft wird durch Filter von Schadstoffen befreit, auf die gewünschte Temperatur gebracht und je nach Bedarf befeuchtet. Die Luftqualität wie auch das gesamte Befeuchtungs- und Bewässerungssystem werden von einer Schaltzentrale aus reguliert, Hochhaus-Farmer inspizieren vor Ort die Früchte und geben Bescheid, wenn geerntet werden kann. Pflanzenreste, von denen etwa bei Mais und Tomaten nach der Ernte eine ganze Menge anfällt, werden gehäckselt, via Pipeline in den Keller befördert, auf dem Fließband getrocknet, gepresst und wieder in nutzbare Energie umgewandelt. Spezielle Recycling-Anlagen wie sie die NASA bei ihren Weltraumprojekten einsetzt, reduzieren den tatsächlichen Wasserverbrauch. All das geschieht im selben Gebäude. Und wenn es stimmt, was das Team der New Yorker Uni kalkuliert, geschieht es durch den Einsatz moderner Technologien wie Windrädern auf dem Dach, Spezialsonnenfolien auf den Außenflächen und energiesparende UV-LED-Leuchten nach einer gewissen Anlaufzeit sogar deutlich ertragreicher als ein vollvermietetes Bürogebäude gleicher Größe.
Der Uni-Professor rechnet im Interview mit "Weltbildung" vor: "Ein klassischer Manhattan-Häuserblock mit 30 Stockwerken kann zur Großstadt-Farm umgebaut nach unseren Berechnungen 50.000 Menschen ernähren. Rein rechnerisch könnte man also mit 150 solchen Gebäuden die Einwohner von New York füttern. Stellen Sie sich vor, wie das die Transportkosten für all die Lebensmittel senkt und wie viele Millionen Tonnen CO2 pro Jahr man dadurch einsparen würde. In der South Bronx, einem Stadtteil von New York, stehen Tausende Häuser leer, die man so oder ähnlich nutzen könnte. Allein auf dem Gelände der aufgelassenen Air-Force-Basis in Brooklyn könnte man fünfzig solcher senkrechter Plantagen errichten."
Logisch, dass auch Großkonzerne wie McDonalds und Nestlé längst Interesse haben. Vor Ort produzieren, verarbeiten und gleich nebenan an den Konsumenten verkaufen, ohne die parallel zum Ölpreis explodierenden Transportkosten: Das ist der Traum jedes Lebensmittelherstellers und wenn es zudem die Umwelt entlasten könnte, umso besser.
Natürlich hat das geplante Projekt neben der etwas erschreckenden Vorstellung selbst auch Nachteile. Und es ist gar nicht so weltbewegend neu, wie der österreichische Biotechnologe Wolfgang Leonhardt erklärt: "In Japan, wo man ganz wild ist auf solche Innovationen, konnte man schon vor 15 Jahren im Supermarkt-Gewächshaus seinen eigenen Salat frisch vom computergesteuerten Fließband stechen. Das Problem war nur bisher, dass der Aufwand nicht lohnte. Es war viel teurer, als unsere Sonne die Arbeit machen zu lassen, mit allen Vor- und Nachteilen der freien Natur. Technisch ist es aber tatsächlich kein Problem. Sogar Bio-Gemüse lässt sich im Glashaus herstellen. Das dort geerntete Getreide ist bestimmt weniger mit Schwermetallen belastet als an manch einer Autobahn." Und wenn sie meinen, Glashaus-Tomaten würden nach nichts schmecken: Auch dieses Rätsels Lösung ist längst gefunden. Tomatenaroma entsteht unter anderem durch gesunden Stress, den die Pflanze in freier Natur erfährt. Setzt man Gewächshaus-Tomaten kurz vor der Reife einem künstlichen Trockenstress aus, in dem man die Lufttemperatur erhöht und die Wasserzufuhr senkt, bilden sie dieselben Stress-Öle wie ihre frei wachsenden Artgenossen und schmecken dann angeblich genauso aromatisch.
"Natürlich ist die vertikale Farm nicht die einzige Landwirtschaftsform der Zukunft", gibt Prof. Despommier zu, "aber sie wäre eine Option, die in jenen Regionen der Welt, wo in Zukunft noch schlimmere Überschwemmungen und Hitzewellen zu erwarten sind, helfen könnte. Durch den Gemüse-Anbau auf mehreren Etagen wäre es möglich, sehr viel Ackerland an die Natur zurückzugeben und dort, wo bisher Gewächshäuser-Wüsten standen, zugunsten der CO2-Bilanz Wälder zu pflanzen."
Despommier: "Mir ist klar, dass dies eine sehr industrielle und für die Konsumenten gewöhnungsbedürftige Form der Landwirtschaft ist. Aber wenn wir dem Trend folgend aus dem Bio-Supermarkt unsere Lebensmittel kaufen, sollten wir auch die Augen nicht davor verschließen, dass die ganz große Mehrheit der Menschen auf unserem Planeten auf eine möglichst kostengünstige, industrielle Landwirtschaft angewiesen ist. Und daneben wäre noch mehr Platz für jene Form des Ackerbaus, wie sie Europa uns Amerikanern so vorbildlich zeigt: Ökologischer Anbau auf offenem Feld, Bio-Lebensmittel von hoher Qualität: Dafür werden die Landwirte immer einen Markt haben und Kunden finden, die bereit sind, einen guten Preis zu zahlen."
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