"Um fünf bis sechs Meter würde weltweit der Meeresspiegel ansteigen, allein wenn das westantarktische Festlandeis in den Ozean fließt..." – Ein Horrorszenario! Nicht nur Venedig wäre zerstört, Inselgruppen würden verschwinden, Städte wie New York stünden unter Wasser. Und trotzdem bleiben Eis-Forscher und Klimaexperten bei der Lektüre dieses im März in der seriösen Tageszeitung "Die Welt" erschienenen Artikels völlig ruhig. Warum?
"Weil diese Annahme völlig aus der Luft gegriffen ist", erklärt Dr. Wolfgang Rack, Glaziologe an der Universität Innsbruck, der sich gemeinsam mit Prof. Helmut Rott intensiv mit den Eisbewegungen der Antarktis beschäftigt. "Es gibt nicht die geringsten Anzeichen, dass das passieren könnte. Die pessimistischsten Schätzungen gehen in den nächsten 100 Jahren von einem weltweiten Temperaturanstieg von ca. 5,8 Grad aus. Aber es würde selbst bei so starker Erwärmung Tausende Jahre dauern, bis der dicke Eispanzer der Westantarktis abgeschmolzen ist."
Inhaltlich zwar nicht falsch, äußerst schlagzeilenträchtig, aber in der Praxis unbedeutend: Für Laien ist es bei komplizierten Themen wie Klima-Wandel und Treibhauseffekt schwer, den Durchblick zu bewahren. Prof. Rott: "Nicht nur Laien tun sich schwer. In der Wissenschaft herrscht großer Konkurrenzkampf, und da passiert es leider, dass unseriöse oder unvollständige Forschungsergebnisse veröffentlicht werden, nur damit einer Erster ist, im Rampenlicht steht"und Förderungen kassieren kann."
Rott und Rack befassen sich vor allem mit dem im März 2002 spektakulär in der Antarktis weggebrochenen Larsen-B-Schelfeis und den Folgen für Klima und Ozean. Dr. Rack: "Zwei Hundertstel Millimeter pro Jahr steigt der Meeresspiegel jetzt zusätzlich durch das dort nachfließende Festlandeis. Eine genaue Beobachtung ist sicher angebracht, aber eigentlich ist diese Zahl minimal."
Zum Vergleich: Laut neuester internationaler Studie steigt der Meeresspiegel (durch Wärmeausdehnung des Wassers und Gletscherschmelze) knapp einen Millimeter pro Jahr. Und für die nächsten hundert Jahre rechnen die Experten mit einem Anstieg des Meeresspiegels zwischen neun und 88 Zentimetern, was allerdings auch alarmierend genug ist.
Warum diese Spanne und damit offenbar die Rechenunsicherheit so groß ist, zeigt ebenfalls das Beispiel Antarktis: Durch den Temperaturanstieg wird zwar dort vermehrt Eis abschmelzen, gleichzeitig führt die Erwärmung aber zu mehr Niederschlag in diesen Breiten Schnee, was die Gletscher zugleich wachsen lässt. Vielleicht wird also nur der Naturkreislauf beschleunigt. Dr. Rack: "Niemand bestreitet, dass sich das Klima erwärmt, nur die Folgen sind eben sehr schwer vorherzusagen."
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