Die Nachlese

Ein Stadtmensch als Viehhirte – Eine 13-teilige Serie für Aussteiger und Träumer

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Alm-Tagebuch: Eine Kuh macht Muh...

...und viele Kühe machen bekanntlich Mühe: Für eine Almsaison tauscht Journalist Tobias Micke heuer sein Büro in Wien gegen eine einfache Hütte in Österreichs Bergen um dort 80 Jungkühe zu betreuen. Erleben Sie in dieser wöchentlichen Sommer-Serie, wie es unserem Stadtmenschen als Viehhirte ergeht.



Im Viehhüter-Seminar wird gezeigt, wie man mit Kühen umgeht
Picture by T. Micke

Nach etwa fünfminütiger Jagd quer durch den Kälberstall hatte ich es endlich geschafft und das entzückende, anfangs so neugierige Kalb vermutlich ein Trauma fürs Leben: Stolz führte ich meine erste, mit einem einfachen Strick selbst gehalfterte (Mini-)Kuh den Mitschülern im Almhalter-Seminar vor, und keiner konnte sich ein Grinsen verbeißen.

Ein Seminar für Viehhüter und Almhalter? Ja, das gibt es wirklich. Jedes Jahr im Frühling, rechtzeitig vor Almauftrieb in Imst (Tirol) und heuer erstmals in der Kärntner Landwirtschaftsschule am Litzlhof in Lendau. Für mich, den Schreibtischtäter, die einzige Chance einen Posten als Jungvieh-Hirte auf einer Alm in Österreichs Bergen zu bekommen. Eine Erfahrung, für die ich nicht nur Kühlschrank, Waschmaschine, Mikrowelle und Geschirrspüler eintauschen muss, sondern mangels Fernseher leider auch die Fußball-WM.

Ich weiß zwar jetzt, dass "Rauschbrand" nichts mit der trockenen Kehle nach feuchtfröhlichen Almfesten zu tun hat, sondern eine erschreckend schnell tödliche Infektionskrankheit bei Kühen ist, und "Mauke" kein norddeutscher Frauenname, sondern eine schmerzhafte Entzündung der Rinderklaue. Aber die schlimmsten Bildungslücken lagen woanders. Zum Beispiel, dass eine Kuh, die frisch aus dem Stall auf die Hochalm gescheucht wird, so wie der Mensch heftigen, schmerzhaften Sonnenbrand bekommen kann. Oder, dass auch eine ältere Rinderjungfer durchaus noch als Jungvieh gilt, weil sie keine Milch geben wird, solange sie kein Kälbchen zur Welt gebracht hat: Eine Kuh wird erst nach dem ersten Kalb zur Milchkuh. Darüber hatte ich mir bis jetzt ehrlich gesagt keine Gedanken gemacht.

Eine glückliche Bio-Alm-Kuh
Picture by Olivia Fuchs

Aus Sicht des wirklich sehr naturliebenden Stadtmenschen waren Kühe auf der Alm für mich immer so etwas wie dekorative Möbelstücke, die sich in Zeitlupe wie ein Bildschirmschoner durch das grüne Panorama-Wohnzimmer des Bergbauern schieben. Sie strahlen dabei eine so ungeheure Gemütlichkeit aus, dass auch der hektischste Bürohengst im meditativen Kuhglockenläuten Ruhe findet. Ich hatte ja bis zu diesem Hüter-Seminar nie wirklich Einblick in den landwirtschaftlichen Prozess, wie das mit den würdelosen gelben "Autonummern" in den Wuschelohren der Kühe geht, damit man sie unbedingt auch noch durchs Fernglas identifizieren kann. Und warum Österreich (auch dank EU-Förderung der Alm-Futterflächen) ein großartiges Almenparadies für Biorinder besitzt, das trotz uralter Tradition vor der Jahrtausendwende zu verwildern und verfallen drohte, weil sich die Alpung für viele Bauern durch den Preisdruck im zusammenwachsenden Europa nicht mehr lohnte.

Als ich als Kind mit Eltern und Geschwistern Urlaub am Bauernhof machte, da war die EU mit all ihren Segen und Flüchen noch in weiter Ferne, und der Eiserne Vorhang grenzte auch den Großteil der heutigen Konkurrenz aus. Bei einer dieser Sommerfrischen, wo wir im Heu nach Katzenbabys suchten, hatte ich mit einem Stierkalb namens Saphro derart intensive Freundschaft geschlossen, dass ich am Ende der Ferien nicht mehr nach Hause wollte. Irgendwo dort muss der Funke übergesprungen sein, der mich heuer gemeinsam mit meiner Freundin Olivia auf einer kleinen, abgelegenen Alm im Süden Österreichs zum Viehhüter werden lässt.

Radieschen-Mäuse für die zünftige Almjause
Picture by T. Micke

Eine Handvoll Bauern, die ihr Jungvieh jeden Sommer auf dieser Gemeinschaftsalm Kraft und Sonne tanken lässt, hat mir ihr Vertrauen geschenkt. Und spätestens seit dem dreitägigen Seminar, wo uns sogar beigebracht wurde, wie man für die perfekte Jause Radieschen in rote Mäuse verwandelt, weiß ich, dass dies ein großes Vertrauen der Bauern ist und dass Viehhüter sein früher ein sehr angesehener Job war, weil der Hirte die Hand über die Schätze und Schätzchen der Bauern hielt.

Von dieser alten Würde, die zweifellos (irgendwo) in meiner neuen Arbeit stecken wird, ließen mich zumindest die Kollegen im Büro, jetzt, in den Tagen vor dem Aufbruch zum Almauftrieb, nicht viel spüren: Obwohl die Reaktionen allesamt zwischen Begeisterung und (wenigstens) freundlichem Gelächter lagen, hörte ich oft hinter meinem Rücken in den langen Redaktionsgängen aus dem Nichts ein "Muuuuh!" nachhallen oder sensible Zurufe wie "Na, Hirtenbub, was machen die Lederbräute?" Aber ich werde nett sein und auch nicht verraten, wer ernsthaft wissen wollte, ob Kühe eigentlich beim Melken von allein das Haxi heben...


< Lesen Sie in Teil II dieser Serie: Abschlag vom Ampfer-Green

© Eine Reportage von T. Micke (18-06-06) – Kontakt